Sehnen des Körpers unter den Schichten von Haut und Gewebe: Paul Wenningers neue Choreografie im Tanzquartier Wien.
Uraufführung von Paul Wenningers „Sehnen“ im Tanzquartier Wien
Wien – Noch ist die Bühne leer, und schon ist zu sehen: Paul Wenningers neue Choreografie Sehnen, die gerade im Tanzquartier Wien uraufgeführt worden ist, wird keine Spaßpartie. Unheimlich sirrende Sounds, kaltes gedämpftes Licht und eine kahle Fläche zwischen zwei Publikumstribünen empfangen zwei Männer und zwei Frauen, die sofort mit einem eiskalten Spiel beginnen.
Es ist dieses Spiel, in dem es immer scheinbar um alles geht: die Anderen und ich. Was bin ich für mein Gegenüber? Attraktiv oder zuwider oder einfach egal? Und: Was lösen die Anderen in mir aus? Wir sehnen uns danach, begehrt, angenommen, respektiert zu werden. Vor allem von jenen, die wir anziehend finden oder von denen wir abhängig zu sein glauben. Betrieben werden all die daraus resultierenden Winkelzüge vom Unbewussten der Beteiligten.
Ein Spiel, das so verborgen bleibt wie die Sehnen des Körpers unter Schichten von Haut und Gewebe. Eines, das unser Bewusstsein ständig hintergeht. Diese gespenstischen Umtriebe machen Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger während ihres Tanzstücks Sehnen sichtbar: in einem akustischen Stressgewebe von Peter Jakober mit Tiziana Bertoncini und einem Bühnenset des österreichischen bildenden Künstlers Leo Schatzl.
Immer wieder gerät das Licht ins Flackern und erweist sich schließlich als Videoprojektion, die schwarze Streifen und Flecken über den weißen Boden geistern lässt. Wiederholt steigert sich die Musik bis an die Grenze des Erträglichen. Abgehackt, verzögert und erratisch bewegen sich die Tänzer von Pose zu Pose. Einmal steigern sich Maia und Cubides in ein lüsternes Duett hinein. Später stakst und stolpert Kern völlig isoliert durch einen Solopart. Ihre Lippen bewegen sich, doch die Worte werden vom Sturm der Musik fortgerissen.
Hier zeigen sich vier psychische Strukturen, die ihre äußeren Erscheinungen wie Gliederpuppen zappeln, einander fassen oder umklammern lassen. Das vielbesungene Sehnen erweist sich dabei als schöne Worthaut für etwas, das wir nicht verstehen. Für eine archaische dunkle Materie, die uns dazu treibt, anzupeilen, was wir begehren. Diese Materie ist in Wenningers ausgezeichnet konstruiertem und getanztem Stück zum Frösteln deutlich spürbar.
(Helmut Ploebst, DER STANDARD – Printausgabe, 20. Dezember 2011)
EIN BEGEHRLICHER ENERGIESTAU
URAUFGEFÜHRT IM TANZQUARTIER WIEN: PAUL WENNINGERS „SEHNEN“ Von Astrid Peterle
In letzter Zeit kamen StammbesucherInnen des Tanzquartier Wien öfters in den Genuss von Ohropax. Auffällig ist dabei, dass auf den vor dem Eingang zum Saal verteilten Hörschutz meist eine Performance von mehreren Körpern folgte, die sich in losen Gruppenverbänden nahezu autistisch bewegten und untereinander keinen Kontakt hatten. So schien es zu Beginn auch in der Uraufführung des jüngsten Stücks des Wiener Choreographen Paul Wenninger. Sehnen baut auf Wenningers charakteristischer, minimalistisch-kraftvoller Bewegungssprache auf.
Das Setting (Leo Schatzl), das von zwei gegenüberliegenden ZuschauerInnen-Tribünen eingefasst wird, bietet den vier TänzerInnen (Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger) eine kühle Bühne: Der Bewegungsraum ist auf ein durch eine gleißende Scheinwerferskulptur erhelltes weißes Rechteck beschränkt, über das mitunter projizierte Bildstörungen flimmern. Passend zum fiebrigen Sound-Rauschen, das von Peter Jakober und der Violinistin Tiziana Bertonicini von einem Tisch aus jenseits des Rechtecks produziert wird, scheinen die TänzerInnen in diesem digitalen Raum gefangen, auf sich und ihr Sehnen zurückgeworfen.
In diesem Teil der stringent durchkomponierten Choreographie steht der Titelbegriff Sehnen in seiner anatomischen Bedeutung im Vordergrund. Die zunächst kleinen, durch den Körper laufenden Bewegungen erwecken den Eindruck, dass die ProtagonistInnen sich in einem elektrisch aufgeladenen Spannungsfeld befinden und nicht entkommen können. Zwischen Bewegungsimpulsen und Ruhepausen bleiben die TänzerInnen trotz des Anscheins der Introspektion Hüllen aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen, die für die BetrachterInnen und ihre MitakteurInnen zunächst keine Emotionen erkennen lassen.
Protect me from
Doch gerade so wie Sehnen als Verbindungselemente funktionieren, entsteht in der zweiten Phase der Choreographie ein Konnex zwischen den TänzerInnen. Abrupt nehmen sie den anderen physisch in Beschlag, sodass für die BeobachterIn nicht mehr ersichtlich ist, ob es sich um Umarmung oder Würgen handelt. Hier wird aus einem enormen Energiestau, der sich durch Sehnen und Begehren gesammelt hat, agiert, ohne dass aber Leidenschaft im erquicklichen Sinne involviert wäre.
Höhepunkt des Bewegung-gewordenen-Sehnens und körperlichen Vereinnahmens ist ein Duett von Cubides und Maia, in dem das Ringen um den/die Ersehnte in seiner zwischen Rohheit und Hingabe schwankenden Intensität besonders eindrücklich erscheint. Gegen Ende hin werden die AkteurInnen nahezu resignativ und erscheinen wieder mit ihrem eigenen Sehnen – im doppelten Sinne des Wortes – alleine. Einmal noch versucht Rotraud Kern aus dem alles überdeckenden Flirren der Musik auszubrechen, doch ihr Monolog bleibt von sämtlichen Anwesenden im Raum ungehört. Lediglich das warme Licht und die Ruhe ganz am Schluss der Performance spenden Trost.
Paul Wenninger ist eine intensive Choreographie gelungen, die den Pathos außen vor lässt und das Sehnen von seiner harten, auszehrenden und dennoch lebensnotwendigen Seite zeigt. Wie formulierte es einmal die Konzeptkünstlerin Jenny Holzer in einer ihrer Text-Installationen: „Protect me from what I want.“
Wissen Sie, was ein Homonym ist?
Von Michaela Preiner
Jeder von uns kennt sie, aber nur wenige kennen den entsprechenden Begriff dafür. Wikipedia sei Dank, gibt es eine rasch zu findende Erklärung. „Als Homonym bezeichnet man ein Wort, das für verschiedene Begriffe oder unterschiedliche Einzeldinge steht…Ein Beispiel ist das Wort „Tau“, das ein Seil, einen morgendlichen Niederschlag oder den 19. Buchstaben des griechischen Alphabets bedeuten kann.“ Liest man weiter, so findet man allerlei Homonyme, aber eines nicht: Sehnen und sehnen.
Dieses war jedoch als Titel der neuen Choreographie von Paul Wenninger vorangestellt und von ihm in seiner ersten Assoziation sogleich den körperlichen Sehnen zugeschrieben worden. Erst aus der Idee heraus, dass eine Information im Körper selbst an Sehnen weitergeleitet wird, um diese in Aktion zu setzen – um zum Beispiel mit der Hand nach einem Wasserglas zu greifen – entwickelte sich das Konzept des Abends. Doch um das Gefühl des Sehnens mit jenen in Verbindung zu bringen, die in unserem Körper für unsere reibungslose Motorik mitverantwortlich sind, bedurfte es noch eines weiteren Gedankenschrittes. Wenn man sich nach etwas sehnt, so ist das, wonach man sich sehnt, auch in einem gewissen Abstand zu einem selbst vorhanden – also muss, um das Sehnen zu minimieren, auch hier eine gewisse Distanz überwunden werden. Und diese Überlegung führte zum Ausgangspunkt der Tanzarbeit, die im Tanzquartier Wien zur Aufführung gelangte.
Kabinett ad Co. bestehend aus Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger selbst, agierten permanent zu viert auf der Bühne, die von einem weißen, erleuchteten Rechteck am Boden markiert worden war. Leo Schatzl, der schon des Öfteren mit Wenninger zusammengearbeitet hat, schuf eine Lichtinstallation, die sich während des Abends teilweise kaum wahrnehmbar veränderte und dennoch für Aufmerksamkeit sorgte. Er markierte damit keine klar definierten Räume, vielmehr ließ seine Arbeit dem Publikum Platz für eigene Spekulationen. Peter Jakober und Tiziana Beroncini agierten sowohl am PC als auch an der elektrisch verstärkten Geige neben dem Geschehen direkt auf der Bühne und beeinflussten dieses durch ihre Musik maßgeblich. „Noise-Klänge“, zuvor von Beroncini an ihrem Instrument erzeugt und hundertfach elektronisch übereinander gelegt, kontrastierten zu einem
stillen Part und beeinflussten die Bewegungsmuster sichtbar. Frozen human sculptures markierten das erste Drittel der Vorstellung und hinterließen den Eindruck, dass man einer fragmentarischen Handlung beiwohnte, ohne diese jedoch weiter deuten zu können. Die Zunahme der akustischen Dramatik brachte dann im zweiten Drittel auch eine Zunahme an zusammenhängenden Bewegungen, welche eine Lesbarkeit des Geschehens ermöglichte. Nun waren es nicht mehr die einzelnen Personen, sondern vielmehr die Interaktionen zwischen diesen, aus denen man ganz salopp gesprochen, eine Beziehungskiste erahnen konnte, wie sie so häufig im Leben zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Attraktion und Verletzung zu finden ist. Plötzlich wurden Bewegungen, die im ersten Teil noch abstrakt gewirkt hatten, mit Bedeutungen hinterlegt – und das, obwohl Wenninger gar keine Geschichte erzählen wollte. Tatsächlich aber musste er zumindest mit diesem Versuch, in der Abstraktion zu bleiben, an der Wahrnehmungspsychologie und den Zuschauern scheitern. Im anschließenden Künstlergespräch wurde mehr als deutlich, dass es für den modernen Tanz fast unmöglich ist, sich seiner narrativen Wurzeln zu entledigen. Allein durch die zeitlichen Abläufe von Bewegungen, auch wenn diese extrem verlangsamt ausgeführt werden, entsteht eine Abfolge von Bildern, die der Mensch ganz automatisch in eine sinnvolle Reihenfolge und eine lineare Geschichte verwandeln will. Diesem in der Gestaltpsychologie längst bekanntem Phänomen konnten sich die Tänzerinnen und Tänzer sowie der Choreograph nicht entziehen.
Alleine, dass sich der Choreograph für zwei Tanzpaare entschieden hatte, die sich auch im Privaten sehr gut kennen, lud dazu ein, dass sich im Stück Eigendynamiken entwickelten, die in der Kybernetik und Kommunikationspsychologie längst bekannt und gut erforscht sind. Diese Aspekte der Interaktion und der Rückkoppelungen waren von Wenninger in der Konzeption des Stückes nicht in letzter Konsequenz mit gedacht worden. Diese nicht oder zumindest unzulängliche Berücksichtigung der philosophischen und psychologischen Erkenntnisse der letzten 40 Jahre führte relativ schnell zu Missverständnissen und nicht beabsichtigten oder gar nicht erwünschten Effekten, wie es zumindest Wenninger im anschließenden Künstlergespräch erklärte. Allerdings hat er ohne es zu wollen, unbewusst und unreflektiert aufgezeigt, dass jeder Einzelne bei der Rezeption eines solches Stückes von den eigenen Erwartungen und der persönlichen Geschichte geprägt ist und deren Wirkungen eben auch auf die individuelle Interpretation Rückwirkungen entfalten. Gerade unter diesem Licht betrachtet bot das Stück, ganz am Puls der Zeit, die Möglichkeit, über eigene Beziehungen nachzudenken. Dem Ensemble ist es gelungen, einen Metaraum der Sehnsüchte und Beziehungen zu gestalten, der von allen Besucherinnen und Besuchern mit der eigenen Lebensgeschichte gefüllt werden konnte. Gerade unter Berücksichtigung der postmodernen Theorie ist diese Leistung eine der schwierigsten und wünschenswertesten überhaupt. Die Bühne war an diesem Abend ein Ort, an dem ein narrativer Freiraum gestaltet wurde, ohne dass dabei eine aus sich heraus verstehbare oder gar fest konzipierte Geschichte erzählt wurde. Bekömmlich, weil belebend für die einen, hartes Brot aber für jene, die vor einer Veranstaltung lieber ihre Denkfähigkeit bei der Garderobe mit abgeben.
Das dunkle Begehren, das uns antreibt
HELMUT PLOEBST , 19. Dezember 2011 17:52
Sehnen des Körpers unter den Schichten von Haut und Gewebe: Paul Wenningers neue Choreografie im Tanzquartier Wien.
Uraufführung von Paul Wenningers „Sehnen“ im Tanzquartier Wien
Wien – Noch ist die Bühne leer, und schon ist zu sehen: Paul Wenningers neue Choreografie Sehnen, die gerade im Tanzquartier Wien uraufgeführt worden ist, wird keine Spaßpartie. Unheimlich sirrende Sounds, kaltes gedämpftes Licht und eine kahle Fläche zwischen zwei Publikumstribünen empfangen zwei Männer und zwei Frauen, die sofort mit einem eiskalten Spiel beginnen.
Es ist dieses Spiel, in dem es immer scheinbar um alles geht: die Anderen und ich. Was bin ich für mein Gegenüber? Attraktiv oder zuwider oder einfach egal? Und: Was lösen die Anderen in mir aus? Wir sehnen uns danach, begehrt, angenommen, respektiert zu werden. Vor allem von jenen, die wir anziehend finden oder von denen wir abhängig zu sein glauben. Betrieben werden all die daraus resultierenden Winkelzüge vom Unbewussten der Beteiligten.
Ein Spiel, das so verborgen bleibt wie die Sehnen des Körpers unter Schichten von Haut und Gewebe. Eines, das unser Bewusstsein ständig hintergeht. Diese gespenstischen Umtriebe machen Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger während ihres Tanzstücks Sehnen sichtbar: in einem akustischen Stressgewebe von Peter Jakober mit Tiziana Bertoncini und einem Bühnenset des österreichischen bildenden Künstlers Leo Schatzl.
Immer wieder gerät das Licht ins Flackern und erweist sich schließlich als Videoprojektion, die schwarze Streifen und Flecken über den weißen Boden geistern lässt. Wiederholt steigert sich die Musik bis an die Grenze des Erträglichen. Abgehackt, verzögert und erratisch bewegen sich die Tänzer von Pose zu Pose. Einmal steigern sich Maia und Cubides in ein lüsternes Duett hinein. Später stakst und stolpert Kern völlig isoliert durch einen Solopart. Ihre Lippen bewegen sich, doch die Worte werden vom Sturm der Musik fortgerissen.
Hier zeigen sich vier psychische Strukturen, die ihre äußeren Erscheinungen wie Gliederpuppen zappeln, einander fassen oder umklammern lassen. Das vielbesungene Sehnen erweist sich dabei als schöne Worthaut für etwas, das wir nicht verstehen. Für eine archaische dunkle Materie, die uns dazu treibt, anzupeilen, was wir begehren. Diese Materie ist in Wenningers ausgezeichnet konstruiertem und getanztem Stück zum Frösteln deutlich spürbar.
(Helmut Ploebst, DER STANDARD – Printausgabe, 20. Dezember 2011)
EIN BEGEHRLICHER ENERGIESTAU
URAUFGEFÜHRT IM TANZQUARTIER WIEN: PAUL WENNINGERS „SEHNEN“ Von Astrid Peterle
In letzter Zeit kamen StammbesucherInnen des Tanzquartier Wien öfters in den Genuss von Ohropax. Auffällig ist dabei, dass auf den vor dem Eingang zum Saal verteilten Hörschutz meist eine Performance von mehreren Körpern folgte, die sich in losen Gruppenverbänden nahezu autistisch bewegten und untereinander keinen Kontakt hatten. So schien es zu Beginn auch in der Uraufführung des jüngsten Stücks des Wiener Choreographen Paul Wenninger. Sehnen baut auf Wenningers charakteristischer, minimalistisch-kraftvoller Bewegungssprache auf.
Das Setting (Leo Schatzl), das von zwei gegenüberliegenden ZuschauerInnen-Tribünen eingefasst wird, bietet den vier TänzerInnen (Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger) eine kühle Bühne: Der Bewegungsraum ist auf ein durch eine gleißende Scheinwerferskulptur erhelltes weißes Rechteck beschränkt, über das mitunter projizierte Bildstörungen flimmern. Passend zum fiebrigen Sound-Rauschen, das von Peter Jakober und der Violinistin Tiziana Bertonicini von einem Tisch aus jenseits des Rechtecks produziert wird, scheinen die TänzerInnen in diesem digitalen Raum gefangen, auf sich und ihr Sehnen zurückgeworfen.
In diesem Teil der stringent durchkomponierten Choreographie steht der Titelbegriff Sehnen in seiner anatomischen Bedeutung im Vordergrund. Die zunächst kleinen, durch den Körper laufenden Bewegungen erwecken den Eindruck, dass die ProtagonistInnen sich in einem elektrisch aufgeladenen Spannungsfeld befinden und nicht entkommen können. Zwischen Bewegungsimpulsen und Ruhepausen bleiben die TänzerInnen trotz des Anscheins der Introspektion Hüllen aus Haut, Muskeln, Sehnen und Knochen, die für die BetrachterInnen und ihre MitakteurInnen zunächst keine Emotionen erkennen lassen.
Protect me from
Doch gerade so wie Sehnen als Verbindungselemente funktionieren, entsteht in der zweiten Phase der Choreographie ein Konnex zwischen den TänzerInnen. Abrupt nehmen sie den anderen physisch in Beschlag, sodass für die BeobachterIn nicht mehr ersichtlich ist, ob es sich um Umarmung oder Würgen handelt. Hier wird aus einem enormen Energiestau, der sich durch Sehnen und Begehren gesammelt hat, agiert, ohne dass aber Leidenschaft im erquicklichen Sinne involviert wäre.
Höhepunkt des Bewegung-gewordenen-Sehnens und körperlichen Vereinnahmens ist ein Duett von Cubides und Maia, in dem das Ringen um den/die Ersehnte in seiner zwischen Rohheit und Hingabe schwankenden Intensität besonders eindrücklich erscheint. Gegen Ende hin werden die AkteurInnen nahezu resignativ und erscheinen wieder mit ihrem eigenen Sehnen – im doppelten Sinne des Wortes – alleine. Einmal noch versucht Rotraud Kern aus dem alles überdeckenden Flirren der Musik auszubrechen, doch ihr Monolog bleibt von sämtlichen Anwesenden im Raum ungehört. Lediglich das warme Licht und die Ruhe ganz am Schluss der Performance spenden Trost.
Paul Wenninger ist eine intensive Choreographie gelungen, die den Pathos außen vor lässt und das Sehnen von seiner harten, auszehrenden und dennoch lebensnotwendigen Seite zeigt. Wie formulierte es einmal die Konzeptkünstlerin Jenny Holzer in einer ihrer Text-Installationen: „Protect me from what I want.“
Wissen Sie, was ein Homonym ist?
Von Michaela Preiner
Jeder von uns kennt sie, aber nur wenige kennen den entsprechenden Begriff dafür. Wikipedia sei Dank, gibt es eine rasch zu findende Erklärung. „Als Homonym bezeichnet man ein Wort, das für verschiedene Begriffe oder unterschiedliche Einzeldinge steht…Ein Beispiel ist das Wort „Tau“, das ein Seil, einen morgendlichen Niederschlag oder den 19. Buchstaben des griechischen Alphabets bedeuten kann.“ Liest man weiter, so findet man allerlei Homonyme, aber eines nicht: Sehnen und sehnen.
Dieses war jedoch als Titel der neuen Choreographie von Paul Wenninger vorangestellt und von ihm in seiner ersten Assoziation sogleich den körperlichen Sehnen zugeschrieben worden. Erst aus der Idee heraus, dass eine Information im Körper selbst an Sehnen weitergeleitet wird, um diese in Aktion zu setzen – um zum Beispiel mit der Hand nach einem Wasserglas zu greifen – entwickelte sich das Konzept des Abends. Doch um das Gefühl des Sehnens mit jenen in Verbindung zu bringen, die in unserem Körper für unsere reibungslose Motorik mitverantwortlich sind, bedurfte es noch eines weiteren Gedankenschrittes. Wenn man sich nach etwas sehnt, so ist das, wonach man sich sehnt, auch in einem gewissen Abstand zu einem selbst vorhanden – also muss, um das Sehnen zu minimieren, auch hier eine gewisse Distanz überwunden werden. Und diese Überlegung führte zum Ausgangspunkt der Tanzarbeit, die im Tanzquartier Wien zur Aufführung gelangte.
Kabinett ad Co. bestehend aus Adriana Cubides, Raúl Maia, Rotraud Kern und Paul Wenninger selbst, agierten permanent zu viert auf der Bühne, die von einem weißen, erleuchteten Rechteck am Boden markiert worden war. Leo Schatzl, der schon des Öfteren mit Wenninger zusammengearbeitet hat, schuf eine Lichtinstallation, die sich während des Abends teilweise kaum wahrnehmbar veränderte und dennoch für Aufmerksamkeit sorgte. Er markierte damit keine klar definierten Räume, vielmehr ließ seine Arbeit dem Publikum Platz für eigene Spekulationen. Peter Jakober und Tiziana Beroncini agierten sowohl am PC als auch an der elektrisch verstärkten Geige neben dem Geschehen direkt auf der Bühne und beeinflussten dieses durch ihre Musik maßgeblich. „Noise-Klänge“, zuvor von Beroncini an ihrem Instrument erzeugt und hundertfach elektronisch übereinander gelegt, kontrastierten zu einem
stillen Part und beeinflussten die Bewegungsmuster sichtbar. Frozen human sculptures markierten das erste Drittel der Vorstellung und hinterließen den Eindruck, dass man einer fragmentarischen Handlung beiwohnte, ohne diese jedoch weiter deuten zu können. Die Zunahme der akustischen Dramatik brachte dann im zweiten Drittel auch eine Zunahme an zusammenhängenden Bewegungen, welche eine Lesbarkeit des Geschehens ermöglichte. Nun waren es nicht mehr die einzelnen Personen, sondern vielmehr die Interaktionen zwischen diesen, aus denen man ganz salopp gesprochen, eine Beziehungskiste erahnen konnte, wie sie so häufig im Leben zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Attraktion und Verletzung zu finden ist. Plötzlich wurden Bewegungen, die im ersten Teil noch abstrakt gewirkt hatten, mit Bedeutungen hinterlegt – und das, obwohl Wenninger gar keine Geschichte erzählen wollte. Tatsächlich aber musste er zumindest mit diesem Versuch, in der Abstraktion zu bleiben, an der Wahrnehmungspsychologie und den Zuschauern scheitern. Im anschließenden Künstlergespräch wurde mehr als deutlich, dass es für den modernen Tanz fast unmöglich ist, sich seiner narrativen Wurzeln zu entledigen. Allein durch die zeitlichen Abläufe von Bewegungen, auch wenn diese extrem verlangsamt ausgeführt werden, entsteht eine Abfolge von Bildern, die der Mensch ganz automatisch in eine sinnvolle Reihenfolge und eine lineare Geschichte verwandeln will. Diesem in der Gestaltpsychologie längst bekanntem Phänomen konnten sich die Tänzerinnen und Tänzer sowie der Choreograph nicht entziehen.
Alleine, dass sich der Choreograph für zwei Tanzpaare entschieden hatte, die sich auch im Privaten sehr gut kennen, lud dazu ein, dass sich im Stück Eigendynamiken entwickelten, die in der Kybernetik und Kommunikationspsychologie längst bekannt und gut erforscht sind. Diese Aspekte der Interaktion und der Rückkoppelungen waren von Wenninger in der Konzeption des Stückes nicht in letzter Konsequenz mit gedacht worden. Diese nicht oder zumindest unzulängliche Berücksichtigung der philosophischen und psychologischen Erkenntnisse der letzten 40 Jahre führte relativ schnell zu Missverständnissen und nicht beabsichtigten oder gar nicht erwünschten Effekten, wie es zumindest Wenninger im anschließenden Künstlergespräch erklärte. Allerdings hat er ohne es zu wollen, unbewusst und unreflektiert aufgezeigt, dass jeder Einzelne bei der Rezeption eines solches Stückes von den eigenen Erwartungen und der persönlichen Geschichte geprägt ist und deren Wirkungen eben auch auf die individuelle Interpretation Rückwirkungen entfalten. Gerade unter diesem Licht betrachtet bot das Stück, ganz am Puls der Zeit, die Möglichkeit, über eigene Beziehungen nachzudenken. Dem Ensemble ist es gelungen, einen Metaraum der Sehnsüchte und Beziehungen zu gestalten, der von allen Besucherinnen und Besuchern mit der eigenen Lebensgeschichte gefüllt werden konnte. Gerade unter Berücksichtigung der postmodernen Theorie ist diese Leistung eine der schwierigsten und wünschenswertesten überhaupt. Die Bühne war an diesem Abend ein Ort, an dem ein narrativer Freiraum gestaltet wurde, ohne dass dabei eine aus sich heraus verstehbare oder gar fest konzipierte Geschichte erzählt wurde. Bekömmlich, weil belebend für die einen, hartes Brot aber für jene, die vor einer Veranstaltung lieber ihre Denkfähigkeit bei der Garderobe mit abgeben.