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Ingeborg und Armin

Zwei Bäume sind geblieben und sie beschatten das stillgelegte Gasthaus.
Beide, Ingeborg und Armin, sind zur gleichen Zeit gestorben.
So, wie sie sich es gewünscht haben.
Jahrelang hatten sie dort Gäste empfangen und bewirtet.
Rundum verwahrloste zwar ein Haus ums andere.
Sie aber hatten den Gastgarten gepflegt und den Blumengarten mit den Dahlien.
Die Knollen von den Dahlien hatten ihnen die beiden Fremden geschenkt.
Die Dahlien waren die Pracht des Gartens.
Das war an einem schon kühlen Herbstabend gewesen.
Da sassen die beiden Fremden bis spätnachts im Gastgarten.
Unter der Linde sassen sie, die Eiche stand etwas abseits.
Das heutige Gasthaus war damals noch eher eine Imbissbude.
Imbiss zur Schiene, so hiess die Bude, wegen der Nähe zum Bahnhof.
Zu einem Gasthaus bauten sie die Bude erst später um.
Die Fremden tranken, als berührte die Kälte sie nicht, bis spätnachts.
Man hätte ihnen nicht angesehen, dass sie Götter waren.
Der eine war fast athletisch, ein Leichtathlet, der andere ein Herr.
Das blieben sie, auch wie sie schon reichlich betrunken waren.
Ingeborg hatte ihnen eine Karaffe Wein nach der anderen gebracht.
Sie ging schon etwas schwer, fast wankend, wegen des Alters.
Doch nie liess sie nach dem Einschenken eine Flasche offen.
Stets drückte sie den Korken auf den Flaschenhals.
Und ihre vollen Arme zitterten dann von der Anstrengung.
Die Geldtasche legte sie immer in das oberste Kühlschrankfach, neben die Aufstriche.
Während Armin schnitt und zubereitete, was zu schneiden und zuzubereiten war.
Er war der Chefkoch, auch wenn er meist nur Brote mit Aufstrich beschmierte.
Was er tat, tat er gewissenhaft, auch das Halbieren der Essiggurken.
Nie hat ein Mensch ihn sich beeilen gesehen.
Und von Zeit zu Zeit nahm er einen Schluck Wein aus seinem Glas.
Sein Glas stand stets auf einer Art Ablage, neben einem Werbeschildchen.
Dass die beiden Fremden nicht bezahlen würden, vermuteten sie beide.
Doch sie bewirteten sie, so gut es nur ging.
Ingeborg wollte gar eine Gans besorgen, doch der eine Gott winkte ab.
Nur Bettler und Götter haben kein Geld.
Doch die Götter bezahlten mit einer Handvoll Dahlienknollen.
Dass diese einen Segen über das Haus bringen würden, ahnte niemand.
Ingeborg hatte ein Beet angelegt und die Knollen im Frühling eingegraben.
Und im Sommer blühten die Dahlien auf und blühten bis tief in den Herbst.
Man konnte sich die Vielfalt ihrer Farben nicht prächtig genug denken.
Die Gäste kamen von weither, um die Blumen zu photographieren.
Das war noch vor dem Umbau.
Wo damals die Bude war, ist heute die Küche.
Damals gab es nur Brote mit Aufstrich und Käse und Wurst.
Doch die Götter assen, als sässen sie an einer festlichen Tafel.
Es war offensichtlich, dass sie nicht zahlen würden, das sah jeder.
Man hatte sie schon aus mehreren Gastgärten hinausgeschmissen.
Doch Armin schnitt auch Käse auf und legte Nüsse dazu.
Und Ingeborg schenkte Wein nach und brachte Brot.
Die Fremden tranken viel, blieben aber nüchtern, so hiess es.
Ingeborg sah den Athleten allerdings wanken, wie er auf den Abort ging.
Es war, als würde er dem Eichenstamm nur mühsam ausweichen.
Dann zielte er so gerade wie möglich auf die Aborttür.
Doch mit deren Schliessmechanismus schien er schon jahrelang vertraut.
Er öffnete und schloss die Tür mit traumwandlerischer Sicherheit.
Armin hatte seine Freude mit den beiden sonderbaren Gästen.
Er hätte gerne einen Topf voll Muscheln in Weissweinsauce für sie zubereitet.
Auf der Herdplatte, wo er sonst die Würstchen im Wasser ziehen liess.
Doch wieder winkte der eine Gott ab.
Armin aber liess es sich nicht nehmen, auf sein allabendliches Salzstangerl zugunsten der Gäste zu verzichten.
Diese teilten es sich, assen und sprachen von der Seelenlosigkeit der Menschen.
Ingeborg und Armin aber umgab die Gloriole, eine Ausnahme zu sein.
So standen sie neben ihrer Imbissbude, bestreut von fallenden Blättern.
Ingeborg stand da am Kies und schaute wie in ein fernes Land.
Armin stand etwas hilflos daneben, denn grosse Augenblicke waren nicht seins.
Auch die beiden Fremden waren mehr und mehr von Laub bedeckt.
Dass sie Götter waren, verrieten sie lange nicht.
Nur, dass sie mit den Händen assen, verriet sie.
Und dass sie dann mit Dahlienknollen bezahlten.
Zudem stand den beiden Gastgebern ein Wunsch offen.
Doch ein Wunsch ist ein Ding wie eine Kugel.
Man kann ihn drehen und rollen und kommt doch nicht auf den Punkt.
Also drehten die beiden die Kugel eine Weile in ihren Gedanken.
Doch sie gingen nicht im Kreis, wie andere Denkende.
Sie stützten auch nicht den Kopf auf die Faust, im Sitzen.
Sie legten sich je auf eine Bank ihres Gastgartens.
Beide schienen sie zu schweben.
So wäre Sterben, dachten sie.
Und wünschten sich ein hohes Alter und einen gleichzeitigen Tod.
Da der Wunsch nun ausgesprochen war, machten sich beide wieder an die Arbeit.
Es gab kaum Arbeit, und so wetzte Armin ein noch reichlich scharfes Messer.
Ingeborg drückte die Korken noch etwas fester in die Flaschenhälse.
Manchmal gerieten sie wegen ihrer Gewohnheiten aneinander.
Ingeborg warf Armin diese unnütze Messerschleiferei vor.
Armin nervten die zu Dreiviertel in den Flaschenhals gedrückten Korken.
Ingeborg beobachtete unwillig Armins Bedächtigkeit.
Und Armin erklärte Ingeborg den Unterschied zwischen einem Tresor und einem Kühlschrank.
Doch stets versöhnten sie sich, auch ohne wirklich gestritten zu haben.
Und vom Besuch der Götter erzählten sie noch lange.
Wie es ein noch schöner, doch schon kühler Herbstabend gewesen sei.
Und wie sie die Tische und Bänke gerade noch nicht eingewintert gehabt hätten.
Wegen der milden Mittagssonne, wegen der Bauarbeitergäste.
Vom Umbau erzählten sie wenig, er war nur halbwegs gelungen.
Es war eine Art Salettel als Oktogon geplant, doch ausführbar schien das nicht.
Wegen der Bäume auch, die sie nicht fällen wollten.
Sie strichen eine Ecke um die andere, bald waren es nur noch fünf.
Also ein Pentagon, da zögerten sie, berieten sich.
Das heisst. Sie sassen etwas ratlos in ihrem Gastgarten, mal da mal dort.
Sie träumten schlecht, träumten, dass ihr Garten überfüllt würde mit Dosen und Schachteln.
Sie drohten unterzugehen in dem Verpackungsmaterial, den leeren Flaschen.
Sie wischten die Tische und trockneten die Gläser, taten, als gewahrten sie nichts.
Tatsächlich aber suchten sie einen Gehilfen.
Denn Armin wagte es nicht mehr, auf einen der Gastgartentische zu steigen.
Das musste aber sein, wollte er eine tote Glühbirne wechseln.
Bunt waren die Glühbirnen, welche an einem Kabel von Ast zu Ast hingen.
Doch dann und wann erlosch eine und gab so ihren Geist auf.
Dies weckte den Wunsch nach einem Gehilfen.
Dies war in der Zeit, da ein Pentagon als Anbau erwogen wurde.
Mit einem fast quadratischen Rechteck schliesslich gaben sich die beiden zufrieden.
Im Frühjahr begannen die Bauarbeiten, und im Herbst fiel das Laub auf das Welldach.
Der Anbau glich einem Schuppen, manchmal auch einer Garage.
Die Dahlien blühten von Juni an bis zum ersten Frost in voller Pracht.
Abends schienen sie noch zu leuchten, in der Dämmerung.
Armin sass dann manchmal dort, wo der athletische Gott gesessen hatte.
Und Ingeborg setzte sich ihm gegenüber, sie sassen bald fast im Dunkeln.
Denn viele der bunten Glühbirnen hingen inzwischen lichtlos im Geäst.
Dann, nach Wochen, bekamen sie einen Gehilfen, der Kaspar hiess.
Kaspar kam jeden Tag mit der Bahn, kam den Weg vom Bahnhof herauf.
Er trug stets eine Mütze und war stets bei der Sache, die er tat.
Er stieg zuerst auf die Tische und wechselte die toten Glühlampen aus.
Da glänzte der Garten abends wieder in seiner bunten Herrlichkeit.
Kaspar lächelte immer, doch die Geschichte vom göttlichen Besuch wollte er nicht glauben.
Ende Herbst grub er die Dahlienknollen aus und liess sie in einen Kübel kollern.
Ingeborg hob die Knollen an einem frostfreien Platz auf.
Kaspar sprach kaum, er lächelte nur, und die beiden Alten mochten ihn.
Wenn er sprach, stotterte er, doch widersprach er nie.
Manchmal redete er mit der Elster, die den Garten von Zeit zu Zeit besuchte.
Manchmal begutachtete er den Anbau, als überlegte er sich dessen Beschaffenheit.
Doch dann lächelte er nur, als hätte ihn ein lauer Luftzug gestreift.
Die Alten aber nahmen mit der Zeit dieses seine Art an, den Anbau zu begutachten.
Währen er sich nie an den Göttertisch setzte, er sass lieber abseits.
Er liebte den Laubfall, alle nannten ihn Kasper, und die Tiere mochten ihn.
Die Hunde, die Kinder, die Katzen und die Gäste, sie fragten, wie es ihm gehe.
Er lächelte dann, ja schon gut, sagte er, und war etwas verlegen.
Wenn er auf eine Frage antwortete, verfärbte sich seine Umgebung bläulich.
Beim Einwintern der Tische und Bänke packte er kräftig an.
Es war, als liebte er diese schwerere Arbeit.
Die Tische und Bänke wurden unter ein seitliches Vordach gestellt.
Gestapelt und mit einer Plane bedeckt.
Nur den Göttertisch liessen die Alten dort, wo er war, auch über den Winter.
Sie strichen ihn, sie trockneten ihn ab, sie bedeckten ihn, er glänzte im Winterlicht.
Wie die Bänke beidseitig des Tisches, die Alten liessen sie draussen.
Als erwarteten sie noch und noch einen nochmaligen Besuch der Götter.
Kaspar hatte sich einmal auf den Tisch gelegt und ins Geäst der Linde geschaut.
Da wurden die Alten älter und älter.
Sie schlurften schon, wenn sie gingen, und zogen so Spuren durch den Kies.
Kaspar verteilte den Kies allabendlich mit einem Rechen wieder regelmässig.
Und am Morgen sah er an den Spuren, welche Wege die Alten schon gegangen waren.
Vom Besuch der beiden Götter fehlte mit der Zeit jede Erinnerung.
Immer seltener setzten sich Ingeborg und Armin an den Göttertisch.
Und wenn sie es taten, schien es, als wüssten sie nicht mehr warum.
Das fallende Laub bedeckte sie nach und nach.
Das Gasthausschild wurde zwischen den immer kahleren Ästen sichtbar.
Imbiss zur Schiene konnte man auf einem lichtlosen Leuchtbalken lesen.
Darunter stand Kaspar und schaute, endlos.
Michael Donhauser, November 2008

Ingeborg and Armin

Two trees remain and shadow the defunct restaurant.
Both Ingeborg and Armin died at the same time.
Just as they wished.
For years they received and served their guests.
All about them, one house after the other decayed.
But they kept their tavern garden and the flower garden with the dahlias.
The dahlia bulbs were given them by the two strangers.
The dahlias were their garden’s glory.
That was on an already cool autumn evening.
There the two strangers sat later and later in the garden.
Under the linden tree they sat, the oak was a bit off to the side.
Today’s restaurant was then more of a fast-food joint.
Fast Food by the Tracks, it was called, because it was near the train station.
Only later did they turn the joint into a restaurant.
The strangers drank, as if the cold could not touch them, far into the night.
You could not have seen that they were gods.
One of them was almost athletic, a gymnast, the other a gentleman.
They stayed that, even when copiously drunk.
Ingeborg had brought them one carafe wine after the other.
They walked with some difficulty, almost swaying, due to their age.
But they never left a bottle open after pouring.
Always they pushed the cork into the bottleneck.
Their whole arms then trembled from the strain.
They always put the wallet in the highest refrigerator shelf, next to the spreads.
While Armin cut and prepared what there was to cut and prepare.
He was the head chef, even though he mostly spread bread with spreads.
What he did he did in good conscience, even the splitting of pickles.
Nobody ever saw him in a hurry.
And from time to time he took a sip of wine from his glass.
His glass always stood on a kind of counter next to an advertisement.
They both suspected that the two strangers would not pay.
But they served them as well they could.
Ingeborg even wanted to bring a goose, but the one god waved her away.
Only beggars and gods have no money.
But the gods paid with a handful of dahlia bulbs.
Nobody guessed that this would bring a blessing over the house.
Ingeborg had planted a flower bed and buried the bulbs in spring.
And in summer, the dahlias bloomed, and bloomed through late fall.
The glory of their various colors was inconceivable.
Guests came from afar to photograph the flowers.
That was before the remodeling.
Where the fast-food booth was back then, is now the kitchen.
Then, there was bread with spreads and cheese and sausage.
But the gods ate as if they sat at a banquet.
It was obvious they would not pay, anyone could see that.
They had already been thrown out of several restaurants.
But Armin sliced cheese and laid out nuts.
And Ingeborg refilled their wineglasses and brought bread.
The strangers drank much, but remained sober, it seemed.
But Ingeborg saw the athlete swaying on his way to the restroom.
It seemed if he would avoid the oak tree only with difficulty.
Then he aimed as straight as possible for the restroom door.
But he seemed long acquainted with its lock.
He opened and closed the door with the confidence of a sleepwalker.
Armin had a good time with the two strange strangers.
He would have liked to serve them a pan full of mussels in white wine.
On the stove, where otherwise he simmered the sausages.
But once more, the one god waved him away.
However, Armin would not be prevented from sharing his nightly salted roll with them.
They divided it, ate and spoke of human soullessness.
Armin and Ingeborg however were granted the glory of exception.
Thus they stood next to their fast food joint, strewn with falling leaves.
Ingeborg stood there on the pebbles and gazed as if into a foreign land.
Armin stood rather helplessly next to her, for he was not made for big moments.
The two strangers, too, were more and more covered with leaves.
For a long time, they did not reveal they were gods.
Only in that they ate with their hands.
And that they paid with dahlia bulbs.
Also: both hosts were given a wish to wish.
But a wish is a thing like a sphere.
You can turn it and roll it and still not find its point.
So both of them turned the sphere awhile in their thoughts.
But they did not walk in a circle as other thinkers do.
Neither did they rest their heads on their fists, sitting.
Each of them lay on a bench in the tavern garden.
Both seemed to float.
This is what it is like to die, they thought.
And wished themselves an old age and a death together.
Since this wish had now been spoken, they went to work.
There was hardly any work, so Armin sharpened an already very sharp knife.
Ingeborg pushed the corks somewhat further into the bottlenecks.
Sometimes they grew cross with each others’ habits.
Ingeborg blamed Armin for his useless knife-sharpening.
And Armin was bothered by the corks pushed ¾-way into the bottles.
Ingeborg watched Armin’s deliberations skeptically.
And Armin explained to Ingeborg the difference between a safe and a restaurant.
But they always made up, even when they had not truly fought.
And they told of the gods’ visit long after.
How it was a still beautiful, but already cool autumn evening.
And how they had just put the tables and benches away for the winter.
Of the remodeling they told little, it was only halfway done.
A kind of octagonal pavilion was planned, but that seemed unfeasible.
Because of the trees as well, the ones they didn’t want to chop down.
They cut one corner after the other, soon there were only five corners left.
So: a pentagon; they hesitated, they gave each other advice.
That is, they sat rather restlessly in their garden, first here, then there.
They dreamed badly, dreamed that their garden was overflowing with cans and cartons.
The packaging and empty bottles threatened to submerge them.
They wiped the tables and dried the glasses, acted as if they didn’t mind.
In reality they were seeking a helper.
For Armin no longer dared to climb on a restaurant table.
But he must, if he wanted to change a dead light bulb.
The light bulbs were colored, and hung on a wire from branch to branch.
But now and then one of them went out, giving up its ghost.
This awakened the wish for a helper.
This was in the time a pentagon was planned.
Finally, they were satisfied with an almost square quadrilateral.
In spring began construction, and in autumn the leaves fell on the tin roof.
The construction looked like a hut, sometimes also like a garage.
The dahlias bloomed in full glory from June on until the first frost.
In the evening they seemed to still glow, at twilight.
Armin sometimes sat where the athletic god had sat.
And Ingeborg sat down opposite him, they soon sat in near-darkness.
For by then, many of the colored light bulbs hung lightless in the branches.

Michael Donhauser, November 2008